Normale Leute und Schmarotzer

Interessantes Interview mit einer Influencerin von Christina Waechter für jetzt.de im Kontext eines ziemlich ekelhaften Betrugs, dessen Hintergrund offenbar der Diebstahl von Reisepässen zum Weiterverkauf war. Das sollte absolut niemandem widerfahren – ich fand allerdings unabhängig davon einige der Aussagen im Interview durchaus bemerkenswert.

Ich glaube, viele normale Leute sehen Influencer irgendwie als eine Art Krankheit und als Schmarotzer, denen alles in den Arsch geschoben wird. Wie viel Arbeit dahinter steckt, das sehen die einfach nicht.

Da weiß ich gar nicht so recht, wo ich anfangen soll. “Krankheit” oder “Schmarotzer” würde ich nicht unbedingt sagen, eher “Steigbügelhalter der kapitalistischen Vernichtungsmaschine”. Besonders bezeichnend finde ich aber die eigene Abgrenzung zu “normalen Leuten” – und dann wundern, wenn diese Leute einen als abgehoben empfinden?

Es mag sein, dass viele Leute unterschätzen, wie viel Arbeit dahinter steckt. Ich unterschätze es nicht – ich habe selbst schon genug in die Richtung gemacht, um einen Heidenrespekt vor dem Ausmaß an Arbeit zu haben. Aber das allein ist doch kein Maß für die Güte oder den Wert einer Tätigkeit. Panzer bauen ist zum Beispiel sicher auch nicht ganz einfach, finde ich trotzdem eher doof. Vielleicht stören sich die “normalen Leute” gar nicht so sehr an diesem unterstellten Schmarotzer-Aspekt. Vielleicht stört es sie eher, dass durch Influencer immer mehr digitale Freiräume zu Verkaufshallen degradiert werden (noch mehr und perfider als sie es mittlerweile ohnehin bereits alle geworden sind)? Oder dass diese Entwicklung unter bewusster Missachtung geltender Gesetze und Vorschriften geschieht?
 

Du bist immer geschminkt, immer gut gelaunt, auch wenn du dich gerade mit deinem Mann gestritten hast. Du musst immer positiv sein und bist ununterbrochen mit deinem Handy beschäftigt.

Also wie in jedem anderen Job auch? Ich musste in die Arbeit gehen und dort normal funktionieren, während eine Ex-Freundin keine 24 Stunden nach der Trennung ihre Sachen aus der gemeinsamen Wohnung geräumt hat. Oder nachdem mir der Bruder einer anderen geschrieben hatte, dass diese sich das Leben genommen hat. Als ob nur Influencer permanent einen Schein wahren müssten und jeder andere Mensch permanent ungefiltert sein wahres Selbst zur Schau stellen könnte.
 

Gerade mal zwei Stunden Zeit für Frühstück im Hotel […]

Es ist schon fast beeindruckend, wie man – als jemand, der mit Öffentlichkeitsarbeit sein Geld verdient – nicht merken kann, wie absolut weltfremd dieser Satz wirkt. Noch dazu als Beginn einer Argumentationskette, die diesen Schluss hat:

Das ist genauso wie bei einer normalen Arbeit.

Wie gesagt – mir ist wirklich bewusst, dass es alles andere als ein leichter Job ist. Wenn ich mir die meisten der unglücklichen Aussagen im Interview anschaue, habe ich aber eher den Eindruck, dass da anders herum der Blick auf “normale Leute” und deren Arbeitsalltag nicht ganz stimmt.
Ich begeistere übrigens auch gerne Menschen für Dinge, die ich toll finde – aber es ist nicht mein Job. Vielleicht würde es helfen, sich mal klarer zu machen, dass man einfach nur ein Marketing-Zahnrädchen ist, wenn man Geld gegen Werbung tauscht – egal ob man dabei wählerisch ist oder nicht. Marketing gibt es in gut und in schlecht, das ist bei Influencern nicht anders. Aber egal ob gut oder schlecht, es bleibt Marketing. Gezielte Manipulation, um Geld zu machen – “genauso wie bei einer normalen Arbeit”.